Andacht November: Man in the mirror ….
1. November 2021 | Andacht |
Man in the mirror …
von Christian Fischer
Es ist morgens 6 Uhr, der Wecker hat geklingelt und ob ich will oder nicht, ein paar Minuten später
stehe ich im Bad vor dem Spiegel.
Ziemlich schlaftrunken schaue ich hinein, doch dann bin ich plötzlich hellwach. Kein Wunder bei
dem Anblick, denn der der mich da so unverblümt aus dem Spiegel ansieht erinnert mich an was: Ist
das nicht der, der sich gestern noch so unheimlich geärgert hat? Nicht nur über andere, sondern vor
allem über sich selbst, weil er an seinen eigenen Ansprüchen und Maßstäben kläglich gescheitert
ist? Man, wie kann man nur so doof sein, dabei war der Vorsatz doch ein anderer. Es sollte doch
diesmal nicht so laufen. Bis eben war ja noch alles gut, die Nacht hatte da irgendwie ein gnädiges
Tuch namens Schlaf drüber gelegt, wo diese ganzen Gedanken, diese Unzufriedenheit mit sich
selbst und auch das erkannte Scheitern keine Rolle gespielt hat.
Und jetzt? Kaum ist das Licht wieder an und die Zahnbürste steckt im Mund ist es wieder da, dieses
doofe Gefühl, das Beklemmungen und Zweifel in einem selbst auslösen, ob es je möglich sein wird,
den Ansprüchen gerecht zu sein oder je zu werden. Bin ich jemals genug?
Während die Gedanken noch darum kreisen spüle ich den Mund aus und wasche mir durch das
Gesicht. Doch als ich wieder nach oben komme und wieder in den Spiegel schaue, merke ich auf.
Es dauert einen Moment bis ich es realisiert habe und ich muss noch mal genauer hinschauen und
hinhören, doch dann nehme ich es war, ganz leise, dann immer deutlicher. Ganz so als wenn da
noch jemand anders wäre, der mich aus dem Spiegel anschaut. Nein, kein Spanner, sondern jemand
der irgendwie anders ist, einen anderen Blick auf mich hat und mir zu ruft, während er mich
freundschaftlich und liebevoll ansieht:
„Ich kann verstehen, dass Du oft von Dir selbst enttäuscht bist. Aber ist das, was Du gestern nicht
gewesen bist, das einzige, was Dich ausmacht? Siehst Du nur das, was gerade nicht gut gelaufen ist
oder hast Du Lust mehr zu sehen? Ist Dir eigentlich bewusst, dass Du gerade in ein Ebenbild
schaust? Ja, richtig gehört Du bist ein Ebenbild, dass sich Gott, mein Vater, ausgedacht hat. Soll
ich Dir sagen, wen ich da vor dem Spiegel stehen sehe? Ich sehe da Dich, der bedingungslos bis in
jede Faser deines Körpers vollkommen geliebt ist. Ja, Du bis so wertvoll für mich, dass es mir
regelrecht weh tut, wenn ich höre dass Du Dich selbst so fertig machst und meinst dadurch würde
irgendwas besser. Auch wenn es schwer ist zu begreifen, so möchte ich es Dir immer wieder
zurufen: Auch dafür, was gestern und heute oder morgen nicht so läuft, wie Du es Dir vorstellst, da
wo es Dir schwer auf dem Herzen wird, die Last zu groß ist, habe ich für Dich ein für alle mal alles
auf mich genommen. All das, was Dich einengt oder belastet darf Du mir immer wieder geben.
Warum? Na, damit Du Deine Hände, Deine Gedanken, Deine Seele frei hast. Frei um sie von mir
mit so viel füllen zu lassen, mit viel mehr als Du Dir vorstellen kannst. Ich will es Dir jeden
einzelnen Tag von neuem schenken, wenn Du es möchtest. Ich nenne das Segen und Gnade und
davon habe ich viel mehr für Dich als Du Dir vorstellen kannst. Da ist so viel von da, dass ich ihn
sogar auch durch Dich an andere weitergeben kann und möchte. Ich möchte damit für Dich nicht
sparsam sein, sondern ihn Dir mit vollen Händen immer wieder neu schenken. Du bist nicht alleine.
Deshalb brauchst Du Dich nicht erschrecken, dass Du in Deinem Spiegelbild nicht nur Dich,
sondern immer uns beide sehen wirst. Komm und lass uns beide heute gemeinsam in den Tag
gehen. Definiere Dich nicht aus dem, was Du nicht geschafft hast, sondern aus dem wer Du in
Gottes Augen wirklich bist.“
Einen Moment stehe ich noch fassungslos vor dem Spiegel. Es braucht noch was, bis ich
ansatzweise begriffen habe, wer mich da angesehen hat. Doch dann kann ich befreit das Bad
verlassen und mir kommt mein Taufspruch aus Jesaja 43,1 wieder in den Sinn:
„Und nun spricht der HERR, der dich geschaffen hat, Jakob, und dich gemacht hat, Israel: Fürchte
dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein!“
So kann ich beruhigt und versöhnt in den Tag starten, mit einem Gott an meiner Seite, der mich
persönlich mit Namen kennt und der schon ALLES für mich getan hat, damit ich frei sein kann.
Mögen wir den Mut immer wieder neu geschenkt bekommen unser Spiegelbild mit anderen Augen
zu betrachten und die daraus gewonnene Freiheit trotz aller Zweifel und Schwierigkeiten jeden Tag
von neuem für uns und andere mit ihm zusammen in die Welt tragen.